Ethan Hayes-Chutes Träume aus Holz
Ethan Hayes-Chutes Atelier liegt in der Karl-Marx-Straße in Neukölln, zwischen einer Baustelle und einem Spielplatz – und auch von innen sieht es ein bisschen aus wie eine Mischung aus Baustelle und Spielplatz: An den Wänden reihen sich Regale, die vollgestopft sind mit unterschiedlichsten Materialien, Büchern, Maschinen und Werkzeugen. Unter der Decke hängt hier ein Fahrrad, dort eine Postkartensammlung; die großen Fenster sind mit einem riesigen Segel verhängt und daneben steht eine kleine Küche mit selbstgebautem Pizzaofen und tausend verschiedenen Zutaten. Außerdem gibt es hier Poster, Pinnwände, Notizen, Skizzen und Kartons und vor allem eins: sehr viel Holz!
Findet Ethan denn in dem vollgestellten Arbeitsraum die Dinge, die er braucht? Anfangs ja – als er vor zehn Jahren hier eingezogen ist, hatte alles seine Ordnung. Inzwischen ist die Trefferquote 50/50, gibt er grinsend zu. Dafür findet er manchmal auch Dinge, die er gar nicht sucht, und das ist auch nicht immer schlecht.
Und wozu das ganze Holz?
Ethan erzählt uns, dass er in der Kunstakademie zwar Malerei studiert hat, aber schon als Kind sehr gerne Holz mochte. Er ist in den USA aufgewachsen und seine Mutter hat immer gerne Bücherregale und viele andere Dinge aus Holz gebaut. Mit 18 hat Ethan dann seine erste eigene Hütte gebaut. Seither sammelt er Holz, das er auf der Straße findet, auf Baustellen oder auf dem Sperrmüll, alte Möbel oder Latten. Neues Holz kauft er nie, weil er es spannend findet, dass jedes Stück gebrauchtes Holz seine eigene Geschichte hat – oft erinnern Nägeln, Schrauben oder Farbreste noch an deren früheres Leben. Ethan verwendet sie dann für seine Kunst und schreibt ihre Geschichte auf diese Art und Weise weiter.
Nun wollen wir aber wirklich wissen, was denn aus dem Holz entsteht – hier sehen wir nämlich in erster Linie Latten, die noch auf die Weiterverarbeitung warten. Das liegt daran, erklärt Ethan, dass die meisten seiner Kunstwerke gar nicht in sein Atelier passen würden und sie oft nur für einen bestimmten Zeitraum an einem bestimmten Ort existieren. Das Projekt Camp Solong von Dafna Maimon und ihm ist beispielsweise ein Sommerferienlager, das bisher an vier verschiedenen Orten stattgefunden hat: in Finnland, den USA, der Schweiz und in Braunschweig in Deutschland. Für jedes dieser Camps wird eine offene Holzhütte gebaut, in der acht Menschen drei Tage lang schlafen, kochen und essen können. Das Camp – also nicht nur die Hütte, sondern auch die Menschen und das, was sie während der drei Tage machen – ergibt dann ein lebendiges Kunstwerk. Ethan liebt Humor und Absurdität – das heißt, wenn Dinge ein bisschen verrückt oder abwegig sind und dem „normalen“ Lauf der Dinge widersprechen. Absurd an Camp Solong ist zum Beispiel, dass Sommerferienlager eigentlich für Kinder gedacht sind, zu Ethans und Dafnas Camp sind dagegen nur Erwachsene eingeladen. Dabei tun sie aber die gleichen Dinge, die eigentlich Kinder tun würden – in erster Linie also spielen. (Ethan findet nämlich, dass Spielen super wichtig ist und Erwachsene das viel zu selten tun.) Außerdem üben sie gemeinsam, Abschied zu nehmen. Manchmal bringt uns nämlich die Angst vor dem Abschied dazu, etwas gar nicht erst anzufangen, auszuprobieren oder kennenzulernen. Diese Angst wird bei vielen größer, je älter sie werden. Dabei müssen wir jeden Tag etwas Kleines oder Großes gehen lassen, zum Beispiel die Sonne. Aus diesem Grund tragen auch alle Teilnehmenden Kleidung in den Farben des Sonnenuntergangs: rosa, gelb oder orange. Das macht nicht nur Sinn, sondern sieht auf den Fotos auch noch wirklich schön aus, finden wir. Und dass Erwachsene mehr Kindersachen machen sollten, ist sowieso klar.
Szenen aus dem Camp Solong, Sitzung 2017 und 2018. Courtesy Dafna Maimon and Ethan Hayes-Chute, Fotos: Mike Terry & Dan D'ippolito
Eine andere Sache, die viele Erwachsene seltener machen als Kinder ist, sich Dinge auszudenken und zu fantasieren. Das ist für Ethan und seine Kunst super wichtig. Deswegen hat er hunderte kleine Holzstückchen für uns vorbereitet, aus denen wir Fantasie-Traumhäuser bauen dürfen. Das lassen wir uns nicht zweimal sagen, stürzen uns auf die Klötzchen und vertiefen uns so sehr ins Bauen, dass es plötzlich ganz still wird zwischen all den Holzlatten. Es entstehen Schaukeln und Whirlpools, Rutschen und schwebende Bänke, Häuser die aussehen wie Spielplätze oder Kletterburgen.
Ethan verrät uns, dass wir die ersten Kinder sind, die in seinem Atelier zu Besuch waren und ein bisschen wehmütig sieht er aus, als wir uns mit unseren Häuschen im Gepäck auf den Rückweg machen. Zum Glück ist er Abschiedsprofi und wer weiß – vielleicht sehen wir uns ja im Camp Solong wieder, wenn wir selbst erwachsen sind. Auch wenn wir uns das grade noch gar nicht so richtig vorstellen können …