Eine Million erreichen mit Uli Aigner
Uli Aigner empfängt uns herzlich in ihrer hellen, wohnlichen und geräumigen Wohnung in Wilmersdorf, in der sich ihr Studio befindet. (Kinder wohnen hier anscheinend auch, denn wir entdecken ein Trampolin und Knieschoner vom Inlineskaten, die auf der Heizung liegen.) Ulis Arbeitsraum ist hauptsächlich weiß eingerichtet und hat eine ziemlich hohe Luftfeuchtigkeit, denn die ist wichtig für ihr Material – damit es nicht austrocknet. Sie drückt uns allen einen kleinen Klumpen davon in die Hand, den wir kneten und modellieren können: Porzellan. Hieraus lässt Uli an der Drehscheibe Gefäße und andere Dinge entstehen.
Wir sind gespannt und wollen mehr über die Künstlerin und ihre Arbeit erfahren. Uli führt uns ins Wohnzimmer mit einer riesigen Bücherwand und einem porzellangefüllten Regal, in dem ein großer Tisch aufgebaut ist. An dem nehmen wir schnell Platz. Nicht nur locken uns die bereitliegenden Schokocroissants, sondern auch die unterschiedlichen Trinkgefäße vor uns. Das ist also Ulis Werk! Obwohl die Gefäße alle aus dem gleichen Material hergestellt sind, unterscheiden sie sich in ihrer Form: Manche sind geschwungen, andere zylindrisch geformt, manche sind groß, andere eher klein – sie sorgen für unterschiedliche Trinkerlebnis und in jedes Objekt ist eine vierstellige Nummer eingeritzt. Wir trinken Tee, während wir Uli interviewen:
Warum arbeitet Uli eigentlich mit Porzellan? Uli erzählt, dass sie mit 13 einer Frau beim Töpfern zugeguckt hat. Seitdem ist sie fasziniert von dieser Fertigkeit und wusste, dass sie das auch können möchte. Das Besondere an einem Handwerk ist laut Uli, dass man immer besser wird, je länger und häufiger man es tut. Und man arbeitet mit den Händen, nicht nur mit dem Kopf. Zwei Jahre nach der Begegnung hat Uli eine Töpferlehre gemacht, später aber eine längere Pause eingelegt und unter anderem an der Kunstuniversität in Wien studiert. Die Künstlerin erzählt uns, dass sie heutzutage im Schnitt zwei Tage der Woche an der Drehscheibe verbringt und pro Jahr eine Tonne Porzellan verbraucht. 1 Tonne! Das sind 1.000 Kilogramm – unvorstellbar viel. Wenn das Porzellan ankommt, kann man es erstmal noch nicht verwenden, denn es ist nicht geschmeidig genug. Dann muss man es mit den Händen bearbeiten und durchkneten. Durch den Handschweiß und kleine Hautpartikel bilden sich grüne Schimmelschlieren auf dem Material, aber das ist gut so. (Wir haben Uli also vorhin schon ein bisschen geholfen und ihr Porzellan vorgearbeitet!) Die Künstlerin töpfert nicht nur, sondern macht auch große Buntstiftzeichnungen, malt und fotografiert. Was sie unbedingt noch machen möchte? Die Fassade eines Hauses bemalen.
Als nächstes wollen wir von Uli wissen, ob sie schon in der Schule viel über Kunst gelernt hat. Das verneint sie; im österreichischen Dorf, in dem sie aufgewachsen ist, gab es kaum Zugang zu Kunst. Dafür ist sie in Wien oft in die Österreichische Nationalbibliothek gegangen und hat Kunstbücher gewälzt. So geht ihr die Inspiration auch heute nicht aus. Was sie sonst inspiriert? Zeit! Den Verlauf der Zeit spürt sie, wenn sie mit und für andere etwas tut oder wenn sie kommuniziert – so wie gerade mit uns. Da fällt uns gleich eine weitere Frage ein: Kann Uli sich an ihr erstes Interview erinnern? Sie lacht und bejaht: Das war 1986 und der Interviewer, Georg Schöllhammer von der Wiener Zeitung „Springerin“, hat sie damals als Kunststudentin zu ihrer ausgestellten Arbeit befragt. Von uns lässt sie sich mindestens genauso gern interviewen und verspricht, sich noch lange daran zu erinnern!
Wir haben ja schon entdeckt, dass in Ulis Porzellangefäße immer eine Zahl eingeritzt ist. Das liegt daran, dass jedes Stück ein Unikat, also einmalig ist. Mit dem Projekt (das über ihre Lebenszeit hinaus weitergehen wird) „One Million by Uli Aigner“ ist es ihr Ziel, eine Million Gegenstände zu töpfern. Um den Überblick zu behalten, nummeriert Uli ihre Werke und erstellt digitale Zwillinge. Die Objekte kann man online angucken und kaufen – oder Uli kontaktieren und sich ein eigenes Gefäß erstellen lassen, zum Beispiel in ähnlicher Form wie die Kanne 6393.
Uli mag den Gedanken, dass Menschen mit ihrer Kunst leben, sie täglich gebrauchen und somit selbst Teil des Kunstwerks werden. Auch in ihrer eigenen Küche ist alles Geschirr auf ihrer Drehscheibe entstanden. Auf einer Onlineweltkarte auf ihrer Webseite kann man einsehen, wo ihre Arbeiten in aller Welt verteilt sind – das ist echt faszinierend.
Jetzt werden wir selbst Teil von „One Million by Uli Aigner“: Wir denken uns Gefäße aus und zeichnen sie auf Papier, während Uli sie an der Scheibe dreht. Dabei bemerkt sie lachend, dass sie noch nie so viele Tassen mit Ohren gemacht hat! Wir sind ganz fasziniert davon, wie jede kleinste Bewegung ihrer Hände das Gebilde auf der Drehscheibe verändert. Wir gucken ihr gebannt zu und die Stimmung ist ganz besonders – alle kommen zur Ruhe, fast wie bei einer Meditation.
Natürlich ritzt Uli in jedes Objekt noch eine Nummer ein (7266–7274) und schreibt sich unseren Wohnort auf. In ein paar Wochen sind sie gebrannt und glasiert, dann schenkt Uli sie uns. Was für ein toller Atelierbesuch! (Und wer weiß: Vielleicht gehen bald ganz viele Bestellungen zu Gefäßen mit unseren Prototypen als Vorlage bei Uli ein?!)
One Million by Uli Aigner – Edition Ephra:
Schaut euch hier die ganze Editon an.