Paula Anke und ihre Schattenamazonen
Es ist ein eisigkalter Tag, als wir Paula Anke in ihrem Atelier im Camaro Haus an der Potsdamer Straße besuchen. (Warum das Haus diesen Namen trägt? Es ist nach dem Künstler*innenehepaar Alexander und Renata Camaro benannt, deren Stiftung sich seit 2010 hier befindet. Seitdem das Haus 1893 gebaut wurde, gab es immer wieder Bezüge zu Kunst und Kultur – zum Beispiel wurde es ursprünglich zur künstlerischen Ausbildung von Frauen errichtet. Wie passend also, dass es heutzutage in der Nähe von vielen Kunst- und Kulturorten wie Philharmonie, Neue Nationalgalerie, Kulturforum, Staatsbibliothek liegt.) Obwohl die Straße sehr trubelig ist, merkt man das Treiben im versteckten Hinterhof mit dem kleinen Park und Brunnen kaum. Im Innenhof entdecken wir ein großes Bild direkt auf der Gebäudewand. Wir sehen drei blätterlose Bäume, ein einäugiges Paar in altmodischer Festkleidung, eine Frau mit Zebra und mehrere Torbögen (durch die man natürlich nicht gehen kann). Ob das Gemälde wohl von Paula ist?
Um das herauszufinden und der Kälte zu entfliehen, gehen wir schnell in den Eingangsbereich. (Kurz öffnen wir aber noch einmal unsere Frühstücksboxen, um gestärkt in das Treffen mit der Künstlerin zu gehen.) Am Eingang befindet sich eine Vitrine mit unterschiedlichen Malereiutensilien und direkt daneben ein Geheimgang, den wir sofort erkunden. Das finden wir richtig gut und es fällt uns ein bisschen schwer weiterzuziehen.
Im Anschluss geht es in ein helles Treppenhaus, das mit einem blauen Teppich ausgelegt ist. Hier empfängt uns Paula lächelnd und bringt uns in den Ausstellungsraum, wo wir neben ihren Kunstwerken auch Arbeiten anderer Künstler*innen sehen können. Der Raum ist sonnengeflutet und sehr warm. Gemütlich setzen wir uns in einen Kreis und bekommen Apfelsaft serviert, während Paula uns ein bisschen von sich erzählt, damit wir sie kennenlernen:
Die Künstlerin ist in Berlin geboren, wo sie die Hälfte ihres Lebens (ungefähr 30 Jahre, wenn auch mit Unterbrechungen) gelebt hat. Die andere Hälfte verbrachte sie in Frankreich, wo ihr Mann herkommt. Heute lebt sie abwechselnd in Berlin und den französischen Bergen – das stellen wir uns sehr schön vor. Paula erzählt uns, dass sie Kunst macht, seit sie 10 Jahre alt ist. Also ungefähr so alt wie wir jetzt sind! Damals hat sie mit Malerei angefangen und das dann auch später studiert. Heute arbeitet sie mit unterschiedlichen Materialien und Medien – Druckgrafik, Installation, Video, Wandmalerei und Assemblage (das sind Collagen aus dreidimensionalen Objekten statt nur Papier).
Uns fällt die bemalte Häuserwand wieder ein und fragen, ob das Gemälde von Paula ist. Ja, sagt sie, das hat sie während der Pandemie an die Wand gemalt. Zuvor hat sie aber einige Skizzen, also Entwürfe gemacht, die sie uns jetzt zeigt. Obwohl das Zebra auf dem Papier nicht fertig ist und nur ein erster Versuch, gefällt es uns schon sehr gut. Als nächstes zeigt Paula uns ihren Arbeitsplatz, wo ebenfalls einige angefangenen Assemblagen und Puppen aus alten Kleidungsstücken liegen. Paula nennt die Puppen liebevoll ihre Schattenamazonen. (Auf Französisch heißt die Arbeit „Amazones de l’Ombre“ und seit 2016 arbeitet sie immer wieder mit und an ihnen.) Amazonen sind in antiken Mythen und Sagen kämpfende Frauen. Paula hat viel darüber nachgedacht hat, dass es natürlich Frauen gibt, die Soldatinnen sind, aber viele Frauen auf andere Arten kämpfen als mit Gewalt. Wenn sich alle zusammentun würden, wären sie eine ganz starke Einheit, ein Heer. Deswegen zeigt Paula die kleine Armee immer zusammen: in einer Installation in einem dunklen Raum, ausgeleuchtet als Protagonistinnen, als befänden sie sich auf einer winzigen schwebenden Theaterbühne. Uns fällt auf, dass die liebevoll gestalteten weiblichen Figuren mit allerlei Details ausgestattet sind und jede von ihnen ist einzigartig ist: Sie tragen Mäntel und Umhänge aus Fell, Federn oder Spitze, aufwendige Kopfbedeckungen und Schmuck. Eine Figur hat statt Armen und Beinen Wurzeln. Paula erklärt, dass sie die Puppen auf Flohmärkten gefunden hat und die Wurzeln von Rosmarinbonsais aus der Provence stammen. Dort fegt der Wind über die Hänge und es ist wahnsinnig heiß. Nach ein paar Jahren sterben die Sträucher und man kann vorsichtig die Wurzeln ausgraben. Vor Kurzem hat es allerdings in der Region so sehr gebrannt, so dass man voraussichtlich erst wieder in 30 Jahren die Wurzeln der kleinen Rosmarinsträucher sammeln kann.
Uns beeindruckt die Kostbarkeit der Puppen und Wurzeln sehr; sie tragen so viele Geschichten in sich, die man nur erahnen kann. Deswegen denken wir uns nun alle unsere eigenen Geschichten zu den Schattenamazonen aus. Yosras Geschichte gefällt uns besonders gut und erinnert uns daran, dass die Tage des Winters gezählt sind (und die Frühlingsfee bald befreit sein wird).
Zur Feier des Tages gibt es trotz der Kälte draußen für uns alle ein Eis – und ein großes Dankeschön an Paula, dass sie uns ihre Arbeit und die Schattenamazonen gezeigt hat!
YOSRAS GESCHICHTE
Es war einmal eine Frühlingsfee. Sie war sehr schön und hübsch. Sie hatte eine Krone mit Blumen und alle Tiere mochten sie. Wo sie lang lief, wurde alles Grün, wo sie einen Schritt hinsetzte. Sie war aus Versehen in eine Schneewelt getreten. Dann kam die Hexe. Sie hatte keine Füße und keine Hände, dafür hatte sie Wurzeln. Und wo sie auch hinlief, wurde alles zu Schnee. Und sie hasste die Frühlingsfee. Die Frühlingsfee war sehr nett zu ihr, aber sie hasste sie. Sie fragte sie: „Was machst du denn hier?“ Dann sagte die Frühlingsfee: „Ich bin aus Versehen hier reingekommen.“ Da sperrte die Hexe sie einfach in die Schneewelt ein, indem sie ihre magischen Türen, durch die sie sich vorher zwischen Winter- und Frühlingswelt bewegen konnte, verschloss. Aber die Frühlingsfee hatte keinen Schlüssel und war eingeschlossen. Sie würde erfrieren und ihre magischen Kräfte verlieren. Sie sagte: „Gib mir den Schlüssel!“ „Nur wenn du das Rätsel löst. Wie heiße ich?“ „Winterhexe“, sagte die Frühlingsfee. „Nein! Du hast 5 Tage, um das Rätsel zu lösen.“ Dann verschwand sie.
Am nächsten Tag kam die Winterfee zurück. „Was ist los?“ „Ich weiß deinen Namen. Schneefrau!“ „Nein!“ „Schneeflocke“ „Nein! Du darfst morgen noch rätseln, dann bist du für immer eingesperrt.“ „Okay.“ Am nächsten Tag kam die Winterfee wieder und die Frühlingsfee sagte: „Ich habe einen Mann und bin schwanger.“ „Lass mich raus!“ „Ist mir egal!“, sagte die Winterfee. „Wenn du es nicht schaffst, musst du mir dein Kind geben. Du hast keine Wahl.“ Die Frühlingsfee nahm ihre letzten Kräfte und zauberte ein kleines Elf. Sie sagte zum Elf: „Finde den Namen der Winterfee heraus.“ Dann ging die kleine Elf zur Winterfee und hörte wie sie sagte: „Keiner weiß meinen Namen. Ich heiße…Schneeball.“ Der kleine Elf hatte es gehört und ging zur Frühlingsfee und sagte ihr: „Die Winterfee heißt Schneeball.“ „Okay, das war easy!“
Am letzten Tag erfuhr die Winterhexe, dass die Frühlingsfee den Namen kannte und flog zu ihr. Sie sagte: „Wie ist mein Name? Das weiß keiner!“ Nun sagte die Frühlingsfee: „Du heißt Schneeball.“ „Ne…WAS?“, sagte die Winterfee und wurde blass vor Schreck. Danach sagte sie: „Woher weißt du meinen Namen?“ „Ich war die ganze Nacht wach und habe überlegt.“ Die Winterfee fing an zu schmelzen. „Niemand hat bisher meinen Namen erraten, du verfluchte Frühlingsfee.“ Und sie schmolz weiter und die Schlüssel fiel auf den Boden. Die Winterfee öffnete die Tür und verließ die Winterwelt. Nun konnte sie nach Hause gehen, zurück zu ihrem Mann, wo sie ihr Baby bekam.