Ambra Durante und die Traurigkeit der schwarzen Kiste
„Wenn die Leute ‚Ooh‘ sagen beim Anblick des bunten Abendhimmels,“ antwortet Ambra Durante auf die Frage, was sie so richtig glücklich macht. Jetzt ist aber erst 10 Uhr morgens und gerade freut sie sich besonders darüber, heute Zeit mit uns zu verbringen. Ambra ist 23 Jahre alt und malt, schreibt und zeichnet Bilder und Bücher. Dabei versucht sie, alles was sie fühlt und denkt in winzig kleine Figuren zu packen. Künstlerin wollte sie schon als Kind werden – oder zur NASA, aber Physik lag ihr nicht so gut. Außerdem hat ihr das Malen und Zeichnen als Kind geholfen, mit der Welt zurecht zu kommen. Sie hat damals nämlich viel Angst gehabt, vor allem möglichen, und wollte damit am liebsten allein sein. Durch das Zeichnen hat sie sich verstanden gefühlt, konnte ihre Gefühle ausdrücken ohne mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das tat ihr gut, auch wenn sie inzwischen gelernt hat, dass allein sein nicht immer ein guter Weg ist, mit Traurigkeit umzugehen.
Was sie denn traurig gemacht habe, in ihrer Kindheit, möchten wir wissen. Ambra erzählt uns davon, dass sie eine riesige, unübersichtliche Welt in ihrem Kopf hat, die bis zum Rand voll ist mit unterschiedlichsten Gefühlen. Zum Beispiel hatte sie große Angst vor dem Erwachsenwerden. Um damit fertig zu werden hat sie mit 18 einen Comic gezeichnet, der Black Box Blues heißt – also die Traurigkeit der schwarzen Kiste. Darin geht es um eine Figur, die „Ich“ heißt und an einer schwarzen Kiste befestigt ist (die Kiste ist der Glaube, nichts zu können). Ich hat einen Luftballon in der Hand (der steht für den Glauben, etwas zu können). Als er weg fliegt, kommt Ich aber einfach nicht von der Kiste los, um ihn einzufangen. Vielleicht antwortet Ambra deshalb auf unsere Frage, welches Tier sie am liebsten wäre: ein Mauersegler. Der kann nämlich ein Jahr lang fliegen ohne anzuhalten – sogar im Schlaf! Der würde den Ballon sicher mit Leichtigkeit einholen...
Auch heute hat Ambra noch manchmal Angst – zum Beispiel vor der Meinung von anderen Menschen – und ist auch häufig traurig. Aber heute weiß sie, dass Traurigsein zum Leben dazu gehört, dass man weder für sich noch für andere die ganze Zeit glücklich sein muss. Und überhaupt geht Glücklichsein ohne Traurigsein gar nicht – das wäre ja, wie wenn immer Tag wäre und nie Nacht. Vermutlich mag Ambra deswegen des Abendhimmel so gern, weil das irgendwie ein bisschen von beidem ist. Das Verrückte an Gefühlen, sagt Ambra, ist, dass sie ja gar keine richtigen Dinge sind, sondern nur in uns drin. Und trotzdem sind sie häufig präsenter, als alles andere. Das Gute ist aber, dass wir eigentlich selber entscheiden können, was mit ihnen passiert. Um uns zu zeigen, wie das gehen kann, bittet Ambra uns, eine unserer größten Ängste ganz für uns allein auf ein Papier zu schreiben, das zu falten und in eine Kiste zu werfen. Während die Kiste an einem geheimen Ort versteckt wird, bekommen wir Stifte und Papier, um Wesen oder Dinge zu zeichnen, die gegen unsere Angst kämpfen. Es entstehen monsterartige Geschöpfe – eines, das die Angst mit Staubsaugerhänden in sich einsaugt, und ein gespenstisches Glas Wasser, das die Angst so lange nassspritzt, bis sie selbst kalte Füße kriegt und einfach wegläuft. Gemeinsam kleben wir unsere Beschützer*innen auf eine große Pappe, auf der nach und nach eine mutige, wilde Welt entsteht.
„Die Figuren sind alle ganz unterschiedlich, aber irgendwie passen sie trotzdem gut zusammen“, stellt eine von uns fest, als wir uns unser Gemeinschaftswerk am Ende betrachten. Es sieht ein bisschen so aus, wie Ambra die Welt in ihrem Kopf beschrieben hat: bis zum Rand voll mit unterschiedlichsten Gefühlen. Gemeinsam können unsere Wesen sicher jede Angst besiegen! Ein Grund mehr, nicht mit ihr allein zu bleiben. Einer von uns möchte seinen Angstzettel mit nach Hause nehmen, ein Schiff daraus falten und es auf einen Fluss setzen, auf dem es dann ganz weit weg fährt. Vermutlich wird die Angst mit unseren Monstern und Schiffen nicht vollkommen aus unserem Leben verschwinden. Aber schon dadurch, dass wir sie beim Namen zu nennen und entscheiden können, was mit ihr passieren soll, wird sie weniger unheimlich und bringt uns Ambras Luftballon – dem Glauben daran, alles zu können – ein kleines bisschen näher.