Irene Fernández Arcas’ Kunst der Vielfalt
Um die Lieblingsfarbe der Künstlerin Irene Fernández Arcas herauszufinden, müssen wir noch nicht mal ihr Atelier betreten: Als sie uns im Gang eines riesigen ehemaligen Fabrikgebäudes in Tempelhof begrüßt, strahlt sie fast genauso wie das Azurblau, in das sie von Kopf bis Fuß gekleidet ist. An diesem besonders kalten Dezembertag fühlt sich das nach Sommerhimmel an oder nach glitzerndem Meer. Auch in Irenes Atelier taucht die Farbe überall auf: an Skizzenbüchern, Regalen und natürlich in Irenes Kunst – zum Beispiel in der blauen Zeichnung, die sich über eines der großen Atelierfenster erstreckt und den Blick in den grauen Innenhof gleich viel weniger trist wirken lässt.
Dass sie Künstlerin werden möchte, wusste Irene schon als kleines Kind; sie hat immer gerne gemalt und gezeichnet. Nach dem Schulabschluss hat sie aber erst einmal in ihrem Heimatland Spanien Journalismus und Fotografie erlernt, bevor sie dann nach Berlin kam um Bildende Kunst zu studieren. Wenn wir uns in Irenes Atelier umgucken, ist das Malen und Zeichnen noch heute ein sehr großer Teil ihrer Praxis. In einer kleinen Präsentation zeigt sie uns, dass sie die bemalten Stoffe häufig nicht einfach als Leinwände an die Wand hängt, sondern zum Beispiel Zelte daraus baut. In ihnen installiert sie kleine Altäre und verschiedenste bemalte Objekte wie Kissen und Geschirr, aber auch Pflanzen und Früchte. Irene mag ihre Zelte gern, sie geben ihr ein Gefühl von Schutz und Geborgenheit. Unsere Idee, dass immer irgendwo in Berlin eines ausgestellt sein sollte, sodass sie sich jederzeit dorthin zurückziehen kann, findet sie klasse.
Was Irene an Kunst besonders gut gefällt ist, wenn sie Menschen zusammenbringt. Zum Beispiel im Theater, bei Performances oder beim Tanzen. Tanzen und Malen liegen bei Irene ohnehin eng beieinander: Sie malt meistens nicht an der Staffelei, sondern breitet Papier oder Stoff auf dem Boden aus und bearbeitet ihn dann mit ausschweifenden Bewegungen. Das fühlt sich ein bisschen wie tanzen an. Die Idee der Gemeinschaftlichkeit kommt in Irenes performativen Aktionen zum Ausdruck, zum Beispiel in Form kollektiver Rituale. Rituale sind Handlungen, die immer ähnlich ablaufen und häufig einen spirituellen Sinn haben, wie etwa Hochzeiten oder Meditationen. Es gibt aber auch ganz alltägliche Rituale wie regelmäßige Spaziergänge, das Zähneputzen am Morgen oder gemeinsames Essen. Besonders gerne veranstaltet Irene große Abendessen mit vielen Menschen. Diese verbindet sie dann mit ihrer Malerei, die den Raum und die sorgfältig auf dem Tisch angeordneten Gegenstände ziert. Die Verbindung von Kunst, Ritual und Gemeinschaftlichkeit findet Irene wichtig und heilsam.
Wir finden, das klingt nach großem Spaß und fragen Irene, ob sie froh ist, Künstlerin geworden zu sein. Irene nickt nachdenklich, erklärt uns aber, dass Künstlerin sein oft bedeutet, eigentlich zu wenig Zeit zum Kunstmachen zu haben. Es gibt immer so viele Dinge zu tun, die keinen großen Spaß machen wie E-Mails schreiben, Dinge organisieren oder Gelder beantragen. Zum Glück hat sie seit zwei Monaten eine Assistentin, Alina, die sie bei diesen Dingen unterstützt! Außerdem ist das Künstler*innensein oft mit großen Unsicherheiten verbunden, da es meist kein regelmäßiges Gehalt gibt und man deswegen sowohl im beruflichen als auch im privaten Leben schwer planen kann.
Trotz dieser Unsicherheiten lässt sich Irene nicht davon abbringen, weiter Kunst zu machen. Sie bezeichnet Kunst für sich persönlich auch als „Gesundheitstrick“, da sie damit Gedanken, Gefühle und Dinge, die sie erlebt hat, verarbeiten und zum Ausdruck bringen kann. Zum Beispiel hat ihr die Kunst einmal geholfen, als sie eine Person verloren hat, die ihr sehr wichtig war. Durch das Kunstmachen konnte sie mit der großen Traurigkeit besser umgehen. Aber auch Glück und Fröhlichkeit kann man durch Kunst mit anderen teilen und das hat Irene heute mit uns vor.
Alina hat große Papiere für uns vorbereitet, die mit einer besonderen Farbe (sie heißt Sublimationsfarbe) bemalt sind. Aus diesen Papieren schneiden wir verschiedene Formen aus und ordnen sie dann auf kleinen Stoffquadraten an, wobei überlegte Motive und wilde Muster entstehen. Unsere Quadrate legen wird dann einzeln auf eine heiße Presse (hier müssen wir besonders vorsichtig sein), die ein bisschen aussieht wie ein zu groß geratener Sandwichmaker. Sobald die Presse zu ist folgen wir gespannt dem Countdown, der auf einem kleinen Display angezeigt wird: Eine Minute müssen wir warten bis wir den Verschluss wieder öffnen können. Die letzten Sekunden werden im Chor runtergezählt. Heraus kommt ein seidiger Stoff, der mit dem gelegten Motiv bedruckt ist. Die Farben leuchten dabei jedoch viel heller als vorher auf dem Papier! Die einzelnen Drucke dürfen wir mit nach Hause nehmen, doch Alina und Irene machen jeweils noch einen zweiten Druck auf eine lange Stoffbahn, so dass ein bunter Schal aus unterschiedlichsten Farben und Formen entsteht. Dieses Gemeinschaftskunstwerk sieht am Ende besonders eindrücklich aus und wir verstehen gut, warum Irene am liebsten mit vielen Menschen zusammen Kunst macht – Vielfalt führt manchmal vielleicht zu etwas Chaos, aber auch zu einer besonderen Schönheit!