Wie Karin Kerkmann mit Wasser malt
„Wo wir grade stehen, standen früher häufig Kamele.“ Das sagt die Künstlerin Karin Kerkmann, als sie uns herzlich im Hof des Atelierhauses in Alt-Treptow begrüßt, zu dem auch ihr Atelier gehört. Wenn ein Zirkus in der Stadt war, durfte er nämlich hier (wo früher einmal eine Wiese war) campieren und die Kamele grasen lassen. Die Zeiten sind aber vorbei, weil rund um den Hof neue Wohnhäuser gebaut wurden und der Zirkus sich einen neuen Ort zum Zeltaufschlagen suchen musste. Karin ist schon lange Teil des Atelierhauses – mehr als 16 Jahre müssten es sein.
Ihr Atelier besteht aus einem hellen, eher kleinen Raum mit Blick auf den Hof. Beim Blick aus dem Fenster sehen wir statt Tieren jetzt einige Pflanzenkübel und Beete, die Karin bepflanzt hat. Und an den Wänden hängen ganz viele Wesen. Es wirkt so, als würden sie aus der Wand fließen, denn das helle Papier hebt sich kaum von der weißen Wand ab. Bevor wir uns den zarten Kreaturen ausgiebig widmen, wollen wir Karin besser kennenlernen und fragen sie aus. Wie ist sie auf die Idee gekommen, Künstlerin zu werden?
Schon als Kind hat Karin es geliebt, kreativ zu sein und Dinge aus der Vorstellung heraus entstehen zu lassen. Das ist eine tolle Kraft, findet sie. Zum Beispiel hat sie aus Moos und Stöcken Städte gebaut und damit gespielt. Mit der Zeit hat sie gemerkt, dass sie eine eigene Sicht auf die Welt und die Dinge um sich herum hat, die sie zum Ausdruck bringen möchte. Das macht sie hauptsächlich mit Aquarellfarben, Pinseln und ganz viel Wasser. Sie fotografiert aber auch und entwickelt Rauminstallationen. Hierfür schaut sie sich an den Ausstellungsorten um und guckt, was sie besonders interessiert oder fasziniert. In einer Kirche waren das die Ein- und Ausgänge, die Fenster und wie das Licht einfällt. Das hat sie alles fotografiert und die Fotos mit einem Diaprojektor, einer Art Beamer, an die Wände projiziert. In gewisser Weise hat sie den Raum neu gebaut, denn auf einmal sah es so aus, als könnte man durch verschlossene Wände gehen oder eine andere Wand runterklettern (dabei war es nur die Projektion der Kirchturmstufen).
Karin erzählt uns, dass Malen sie besonders glücklich macht und zur Ruhe kommen lässt – es ist fast wie Meditieren. Sie zeichnet nie vor, was entstehen soll. Der Zufall ist ganz wichtig und sie malt aus dem Bauch heraus. Es muss nichts Konkretes werden; es geht eher um die Form und die Überraschung darüber, was gerade entsteht. Dabei ist sie ganz konzentriert und guckt genau, wie sich die Farbe bewegt. Mit Aquarell kann man nämlich sehr gut mit der Bewegung arbeiten und darauf reagieren, wie das Wasser fließt. Ein bisschen haben die Wesen also einen eigenen Willen.
Wir nehmen uns ein paar Minuten und sammeln, was wir in Karins Wasserwesen alles entdecken. Irgendwie wirken sie lebendig und gleichzeitig so, als könnte man durch sie durch- oder in sie hineingucken. Wir sehen ein Gehirn, eine sprießende Kartoffel, einen Schmetterling, Blumen, eine Lunge, ein Monster, einen Arm. Und eine Mischung aus Tier und Herz, ein Alien, einen Unterkörper, eine Schnecke, einen Pilz, ein Baby im Bauch, zwei Fußsohlen… Je länger wir hinschauen, umso mehr entdecken wir.
Karin erzählt, im Prozess gibt es immer wieder Bilder, die beim Malen zwar Spaß machen, von denen sie aber trotzdem nicht überzeugt ist. Aber das ist kein Problem, denn dann nimmt sie sich einfach ein neues Papier und fängt von vorne an. (Unter dem Tisch liegt ein ganzer Haufen von solchen Arbeiten.) Von zehn Bildern ist vielleicht eins dabei, das sich sofort richtig anfühlt.
Wie lang braucht sie denn für ein Bild? Das kann man schwer sagen, gibt Karin zu. Oft malt sie hintereinander weg, zum Beispiel zehn Bilder. Und weil sie so im Fluss ist, braucht sie für das elfte, das sich richtig anfühlt, nur eine halbe Stunde. Hätte es aber die zehn Versuche davor nicht gegeben, dann wäre sie auch nicht zum elften gelangt. Ob es uns auch so gehen wird?
Karin hat uns Malbretter vorbereitet, auf dem das Papier mit Klebestreifen fixiert ist. Dadurch, dass man hauptsächlich mit Wasser malt, kann sich das Papier ziemlich wellen. Die meisten von uns haben noch nie Aquarellfarben benutzt und es ist total ungewohnt, wenig Farbe, dafür umso mehr Wasser aufzunehmen. In der Farbe sind so viele Farbpigmente, dass ein kurzes Antippen meist reicht.
Wir schwingen die weichen Pinsel (die nie auf der Spitze im Glas stehen gelassen werden sollten) und lassen uns treiben. Dabei hören wir, wie Karin es sonst auch macht, eine CD mit Naturgeräuschen. Die Zeit ist viel zu schnell vorbei und vielleicht fühlen sich noch nicht alle entstandenen Bilder richtig an. Aber wir wissen ja, was dann zu tun ist – einfach immer weitermalen!