Farbfische und explodierende Palmen bei Erik Schmidt
Manchmal ist es nicht leicht, das richtige Wort zu finden. Als wir in das Atelier von Erik Schmidt kommen, stechen uns als erstes Farbkleckse ins Auge: Ölfarbe. Aber Farbkleckse ist eben nicht das richtige Wort. Dick wie Fischleiber liegen die Ölfarbenkleckse angerührt: grün, rosa-weiß, lila. Farbfische? Auch auf den Leinwänden sind solche Farbfische zu sehen, weil die Ölfarbe nicht überall dünn vermalt ist. Erik wirft sie mit einem Pinselschwung auf das Bild. Dadurch haben die Gemälde keine glatte Oberfläche, sondern eine Struktur. Wie eine Mondlandschaft. Oder ein tiefer Meeresboden. Es dauert Monate, bis die Farbfische auf den Leinwänden getrocknet sind.
Erik hat sein Atelier in Berlin-Lichtenberg, in der Kunstfabrik HB55. In dem riesigen Gebäudekomplex wurde vor 100 Jahren Margarine hergestellt. Heute bietet die alte Fabrik ganz viel Platz für Ausstellungen, Ateliers und Workshops.
Als wir den Maler besuchen, zeigt er uns Bilder, die er gerade für eine Ausstellung in Wien malt. Dabei ist sein Atelier oft die letzte Station einer Reise; im Frühjahr flog er beispielsweise nach Sri Lanka. Das war kurz nachdem Russland die Ukraine überfallen hat. Dort hat er Palmen fotografiert. Das Besondere an seinen Fotos ist, dass er dafür meistens Orte aufsucht, die man nicht so ohne Weiteres erreicht. In Sri Lanka ist es verboten, sich in die Mitte unter eine Palme zu legen, weil das gefährlich ist. Wenn eine Palme eine Kokosnuss abwirft, kann sie einen leicht erschlagen. Erik hat die Palmen genau von diesem verbotenen Punkt aus fotografiert: Die Betrachter*innen der Fotos blicken am Stamm der Palme hinauf in die Krone.
Wenn der Künstler von seinen Streifzügen zurückkehrt, beginnt er in seinem Atelier, die Fotos zu übermalen. Vielleicht, sagt er, ist das ein bisschen faul, das Bild ist ja praktisch schon da. Aber das stimmt natürlich nicht. Die übermalten Palmen sehen aus wie Explosionen, und das ist kein Zufall, denn obwohl er in Sri Lanka war, beschäftigte ihn gedanklich der Krieg in der Ukraine. Und wenn man zweimal hinschaut, dann sehen die Kokosnuss und die Palmenknospe, die er aus Gips anfertigen ließ, wie Handgranaten aus.
Erik arbeitet oft auch mit Bildern von anderen: Mit Fotos von Berlin oder Tokyo, aber auch mit den Cover-Bildern von Magazinen, und er benutzt alle möglichen Materialien – Kreidestifte, Ölfarbe, Kugelschreiber –, um diese Bilder zu bearbeiten. Manchmal wirken seine vorsichtigen Übermalungen wie ein Kommentar zum Originalbild. Manchmal entsteht eine Art Spiegelbild des Originals, manchmal auch etwas ganz Neues, unter dem man das ursprüngliche Foto kaum mehr erkennt.
Manchmal wirken seine vorsichtigen Übermalungen wie ein Kommentar zum Originalbild. Manchmal entsteht eine Art Spiegelbild des Originals, manchmal auch etwas ganz Neues, unter dem man das ursprüngliche Foto kaum mehr erkennt.
Nachdem er uns die Geschichte seiner explodierenden Palmen erzählt hat und wir gesehen haben, wie sie durch das Auftragen von Farbfischen immer dicker und bunter werden, stellt Erik uns Fotos, Zeitungen und Magazine zur Verfügung. Er hat davon einen ganzen Schatz. Außerdem gibt er uns Kreidestifte, Ölfarbe und alle Materialien, die er selbst auch verwendet. Jetzt legen wir los und probieren aus, was man aus Bildern machen kann, die schon da sind. Das funktioniert erstaunlich gut! Am Ende unseres Besuchs geht es uns nicht anders als dem Künstler: Wir können unsere Werke noch nicht mitnehmen, weil sie erst noch trocknen müssen. Eriks Ausstellung in Wien ist in einem Monat. Bis dahin werden viele der Farbfische auf seinen Leinwänden auch noch nicht trocken sein.